"Zwei Maori, die schon europäisch genug waren, um für Geld ihre nationalen und religiösen Prinzipien zu verleugnen, führten mich nachts in eine Höhle bei Kawhia; dort fand ich vier Mumien, von denen zwei tadellos erhalten waren.
Das Unternehmen war sehr gewagt, denn seine Aufdeckung hätte mich unfehlbar das Leben gekostet. In der Nacht wurden die Mumien weiterbefördert, dann gut verborgen; in der nächsten Nacht wurden sie wieder weitergeschleppt, bis ich sie über die Grenze des Maorilandes gebracht hatte. Aber auch da hielt ich sie noch bis zu meiner Abreise vorsichtshalber versteckt. Nun zieren diese beiden Maori-Ahnherren die ethnographische Sammlung des Wiener Naturhistorischen Staatsmuseums." (Reischek 1924: 174f)
Andreas Reischek stammt aus Linz in Oberösterreich und war ursprünglich Bäcker. Er lernte im Selbststudium das Präparieren von Tieren und arbeitete in Wien als Taxidermist und Lehrmittelhändler. Ferdinand Hochstetter (1829-1884) vom Wiener k.k. Naturhistorischen Hofmuseum verschaffte ihm eine Stelle als Präparator und Sammler bei Julius von Haast, dem Direktor des Canterbury Museums in Christchurch, Neuseeland, die Reischek 1877 antrat. Er sammelte Artefakte für Museen in Auckland, Wellington und Wanganui. Reischek verbrachte insgesamt zwölf Jahre in Neuseeland, erforschte selbständig die Insel und sammelte weitere Objekte. Um seinen Aufenthalt zu finanzieren, verkaufte und tauschte er Sammlungsstücke. Er pflegte freundschaftliche Beziehungen zu den Maori, besonders mit König Tawhiao, der ihm Zugang zu dem für Europäer:innen gesperrten Königsland verschaffte. 1889 kehrte Reischek nach Österreich zurück. Die Anerkennung, die er sich für seine mitgebrachte wissenschaftliche Sammlung erhoffte, wurde ihm nicht zuteil. Auf neun Expeditionen sammelte er 1200 ethnographische Objekte, 37 Menschenschädel und 2 Maori-Mumien. Außerdem brachte er selbstgefertigte Präparate von 3000 Vögeln, 120 Säugetieren, 800 Fischen und Reptilien, 2500 Pflanzen sowie zahlreiche geologische und mineralogische Proben nach Österreich. 500 Objekte stammten aus Neuseeland, andere aus Australien und anderen Pazifikgebieten. Ab 1892 arbeitete er als Kustos und Präparator am Museum Francisco-Carolinum in Linz. Durch eine Spende des Bankiers Carl von Auspitz wurde Reischeks naturkundliche Sammlung dem Naturhistorischen Museum in Wien, und die Maori-Objekte sowie menschlichen Überreste dem heutigen Weltmuseum Wien vermacht. Die Schädel der Maori verblieben in der anthropologischen Sammlung des Naturhistorischen Museums.
Reischek wird heute aufgrund seiner Sammelmethoden kritisiert. Er raubte mit Unterstützung von einheimischen Maori, Werkzeuge, Schmuck, Schnitzereien, menschliche Knochen, Schädel und zwei Mumien aus alten, verbotenen Grabhöhlen und brachte sie nach Europa. Der Forscher Erich Kolig (1998: 47) meint:
"Sein Sammeleifer und seine darin manifestierte Einstellung, daß der (wissenschaftliche) Zweck die Mittel heilige, hatten ihn allzu oft dazu verleitet, alle Skrupel, Gefühle des Taktes und der Loyalität seinen Maori-Freunden gegenüber außer acht zu lassen und – aus heutiger Sicht – mit erstaunlicher Kaltblütigkeit und Rohheit seine Ziele zu verfolgen."