Der koloniale Sammeleifer europäischer und nordamerikanischer Forscher und Reisender machte auch vor menschlichen Überresten nicht Halt. Viele dieser Sammlungsstücke befinden sich immer noch im Besitz von Museen, Universitätssammlungen oder Privatpersonen. Gesammelt wurde im Dienst der Wissenschaft. Unter anderem sollten Vorstellungen der „weißen europäischen Überlegenheit“ und eine rassistische Weltanschauung legitimiert werden. Auch wollte man angeblich „aussterbende primitive“ Gesellschaften für die Nachwelt festhalten.
Erkenntnisse aus der Forschung dienten oftmals kolonialen Ausbeutungsinteressen. Heute werden in diesem Kontext viele Fragen gestellt: Woher stammen die Objekte in Museen und Sammlungen? Ist deren Besitz in Hand dieser Institutionen legitim? Und können menschliche Überreste nach den gleichen Ausstellungskriterien behandelt werden wie Objekte? Wie soll mit ihnen umgegangen werden? Was bedeutet der Besitz dieser „Gegenstände“ für die Betroffenen und ihre Nachfahr:innen?
„Indem sich Museen und universitäre Sammlungen ihrer Verantwortung stellen, leisten sie einen wichtigen Beitrag zu aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen. Sie sensibilisieren für historische Zusammenhänge, Abhängigkeiten und Vermächtnisse sowie für das Fortwirken rassifizierender und kolonialer Denkmuster in der Gegenwart“ (Brandstetter/Hierholzer 2017: 25).
Die Ausstellung „Leichen im Keller – Menschliche Überreste zwischen Rückgabe und Verbleib“ greift Fragen rund um die Sensibilität menschlicher Überreste in Museen und Sammlungen auf. Wir beschäftigen uns mit diversen Problematiken ethischer Umgangsweisen mit menschlichen Überresten. Unterschiedliche Handlungsstrategien reichen von Rückführungen über das Ausstellen bis hin zur Aufbewahrung in Depots. Diese Thematiken verhandeln wir anhand von vier Wiener Fallbeispielen: dem Weltmuseum Wien, dem Naturhistorischen Museum Wien, der Ägyptisch-Orientalischen Sammlung des Kunsthistorischen Museums Wien und der Ethnographischen Sammlung des Instituts für Kultur- und Sozialanthropologie der Universität Wien.
Wir laden Besucher:innen ein, sich mit der unrechtmäßigen Aneignung von menschlichen Überresten in kolonialen Kontexten auseinanderzusetzen. Wir fordern auf, zu fragen, wie Museen und Sammlungen mit historischen kolonialen Machtverhältnissen in Verbindung stehen. Anliegen der Ausstellung ist es, die Aufarbeitung der Erwerbsumstände von menschlichen Überresten anzuregen. Forderungen von Museumsverbänden und Wissenschaftler:innen nach intensiver und kritischer Auseinandersetzung mit Herkunft und Aneignungsbedingungen müssen Taten folgen. Ebenso dürfen die Rufe nach vermehrter Transparenz sowie Dialog und Kooperation mit Herkunftsgesellschaften keine leeren Worte bleiben. Für den Umgang mit menschlichen Überresten dürfen nicht Profit und Prestige die leitenden Motive sein. Im Fokus sollten Respekt gegenüber den Menschen, Reflexion und moralische Handlungsweisen stehen. Wir möchten Bewusstsein für die Sensibilität von menschlichen Überresten in musealen und universitären Sammlungen schaffen. Um diese ethische Problematik zu unterstreichen, rücken wir in dieser Ausstellung menschliche Überreste in den Mittelpunkt, ohne sie selbst zu Objekten zu machen. Wir behandeln das Thema menschliche Überreste, ohne welche zu zeigen. Damit betonen wir, dass es sich um Menschen handelt und nicht (nur) um Objekte.
Woher kommen die menschlichen Überreste in Museen und Universitätssammlungen?
Welche Möglichkeiten gibt es im Umgang mit menschlichen Überresten?
Was könnte mit den „Leichen in unseren Kellern“ geschehen?