Viele der Sammlungen in europäischen und nordamerikanischen Museen und Universitäten sind im Zuge des Kolonialismus entstanden. Viele menschliche Überreste und andere Objekte wurden somit im Kontext großer Machtungleichheiten und Gewalt zusammengetragen. Das Sammeln von möglichst vielen Objekten zu wissenschaftlichen Zwecken, insbesondere von jenen “Völkern”, die als “aussterbend” und “primitiv” galten, war von hoher Priorität. Vorherrschend war das Bild von kultureller und rassischer Überlegenheit der Kolonialmächte, während indigene Gruppen als bloßes “Forschungsmaterial” und “rückständig” angesehen wurden. Die Sammel- und Ausstellungspraktiken der Anthropologie stehen somit historisch in Zusammenhang mit der Ideologie einer linearen soziokulturellen Entwicklung der Menschheit. Europa wurde in diesem Weltbild stets an der Spitze verortet. Im Rahmen dieser rassistischen Ideologie und der Vormachtstellung Europas wurden durch das Sammeln von menschlichen Überresten die betroffenen Menschen zu bloßen Objekten gemacht.
Der Deutsche Museumsbund definiert Umstände des Todes und der Aneignung, die in Zusammenhang mit Unrecht stehen, als besonders problematisch:
„Eine wesentliche Frage beim Umgang mit menschlichen Überresten ist, wie die Umstände des Todes, des Erwerbs und bei den oben angesprochenen (Ritual-)Gegenständen auch der Entstehung jeweils rechtlich und insbesondere auch ethisch zu bewerten sind. […] Besonders problematisch sind Entstehungs- und Erwerbsumstände, wenn der Person, von welcher der menschliche Überrest stammt, Unrecht angetan wurde. Die Arbeitsgruppe bezeichnet diese Sachlage als Unrechtskontext.“ (Deutscher Museumsbund 2013: 9-10).
Diverse Formen kolonialer Gewalt bilden einen solchen Unrechtskontext. Meist wurden Sammlungsstücke unter asymmetrischen Machtverhältnissen mittels Schenkungen, Kauf oder Tausch erworben. Jedoch konnten auch diese scheinbar harmlosen Transaktionen Diebstahl, Erpressung und unfairen Handel beinhalten. Zudem kam es zu Raub und Grabschändung. Die damalige Bezeichnung der Aneignung von menschlichen Überresten und Objekten in Kolonialgebieten als “legal” und “legitim”, stellt einen weiteren Akt der Gewalt dar. Die Definitionen und Bedeutungen von gesammelten „Objekten“ bestimmten vorwiegend die europäischen und nordamerikanischen Wissenschaftler:innen. Perspektiven und Deutungen der beforschten oder „gesammelten“ Menschen, wurden dabei ausgeblendet.
Die kolonialen Hintergründe von menschlichen Überresten in Museen und Sammlungen wurden zum Teil jahrzehntelang nicht thematisiert. Sie wurden unreflektiert aufbewahrt und teilweise ausgestellt. Seit einiger Zeit wird vermehrt versucht, dieses koloniale Erbe aufzuarbeiten. Die essenzielle Grundlage dafür bildet die Provenienzforschung, die Untersuchung der Herkunft von Objekten. Museumsverbände und Wissenschaftler:innen haben Stellungnahmen und Richtlinien zum ethischen Umgang mit menschlichen Überresten aus kolonialen Unrechtskontexten veröffentlicht. Häufige Forderungen darin betreffen die Ausweitung der Provenienzforschung, vermehrte Transparenz hinsichtlich der Herkunft und des produzierten Wissens und Dialog sowie Kooperation mit den Herkunftsgesellschaften. Diverse Herangehensweisen, wie Rückgabe oder Verbleib der menschlichen Überreste, werden diskutiert und in Angriff genommen. Gemeinsam mit Herkunftsgruppen sollen Strategien erarbeitet werden, um zur Aufarbeitung der kolonialzeitlichen Hintergründe und unrechtmäßigen Beschaffungen beizutragen.